Künstlerin und Mosaizistin

Helene Appel im Gespräch mit Saskia Siebe

Alles ist eine Variation

HELENE Als Einstieg würde ich gerne über deine Ausbildung, wo du künstlerisch herkommst, sprechen. Auch, weil sich die Bildmotive deiner Arbeiten unter anderem auf die Vergangenheit beziehen.

SASKIA Viele meiner Arbeiten beziehen sich auf einen Ort aus meiner Kindheit. Ein Ort der mir sehr nahe ist. Ein Ort, an den es sehr große Erinnerungen gibt. Irgendwie heißt das ja auch, dass es eine Erinnerung aus der Perspektive eines Kindes ist. Eine Perspektive, in der ich die Dinge anders wahrgenommen habe.

Mit neun Jahren kam ich nach München, wo es eine große Mosaik- und Glaswerkstatt gibt, die Mayersche Hofkunstanstalt. Dort habe ich Arbeiten von Kiki Smith und anderen zeitgenössischen Künstler*innen gesehen. Das hat mich sehr interessiert und dazu inspiriert das Handwerk des Mosaiks zu erlernen, was nur in Italien möglich ist. In einem kleinen Dorf habe ich dieses Handwerk ganz traditionell gelernt. Danach habe ich dann sieben Jahre als Mosaizistin in Barcelona gelebt. Aber eigentlich war es von Anfang an mein Wunsch mit Mosaik Kunst zu machen. Daher habe ich mich 2013 dazu entschlossen Freie Kunst zu studieren.

HELENE Wenn du mit Kindheitserinnerungen und anderen Bildern aus der Erinnerung arbeitest, könnte man auch meinen, dass das wie eine Tür zu einer anderen Welt ist, in die man verschwinden kann. Aber in deinen Arbeiten ist das anders. Es gibt nichts, das irgendwohin verschwindet, sondern man tritt ein und ist in Material, das ganz da ist. Es geht um Material. Um Formen. Es geht um etwas Präzises, nicht um etwas Vages.

SASKIA Material verstehe ich als Sprache und nicht als reinen materiellen Wert oder Technik. Und mit diesen unterschiedlichen Sprachen spiele ich. Ich arbeite mit dem Material und aus ihm heraus entstehen und entwickeln sich meine Arbeiten. Natürlich auch aus der jeweiligen Technik in der ich arbeite, denn je nach Technik kann ich etwas anderes ausdrücken.

HELENE Du verwendest zwar bestimmte Techniken, doch sie nehmen nicht überhand. Weil du auch eine bestimmte Bildwelt verwendest. In deiner Keramik geht es nicht nur um Keramik. Und mir scheint, dass es nie um das einzelne Werk an sich, als Einziges, geht. Sondern immer auch um ein Angebunden-Sein. Ähnlichkeiten zu anderen Materialien und Prozessen, zu Motiven, werden aufgezeigt. Zum Beispiel gibt es eine Druckgrafik, in der ein Baum im Wasser reflektiert wird, und so der Vorgang des Abdrucks, der Druckgrafik, im Bildmotiv selbst wiederholt wird. Auch handwerklich überlappen sich eigentlich voneinander getrennte Prozesse. Du überträgst das Mosaikhandwerk in andere Medien.

SASKIA Für mich ist es spannend in ein Material oder eine neue Technik einzutauchen und diese zu erforschen. In diesem Forschen kommen viele Experimente vor. Dabei entwickeln sich neue, ungeplante und unerwartete Dinge. Es entstehen neue Möglichkeiten des Ausdrucks. Dieses Vertieftsein im Material ist mir eigentlich der wichtigste Arbeitsprozess. Im Material zu sein und alles andere zu vergessen. Bis etwas gewissermaßen von alleine entsteht. Also aus dem Material heraus.

In diesem Kreislauf der Materialität zu sein ist bei Keramik beispielsweise ganz extrem. Zuerst arbeite ich einfach mit der weichen, verformbaren Erde und mit der Zeit, je nach Brenntemperatur, verwandelt es sich. Eine Transformation in den Farben, in der Größe und auch Härte. Und wenn es kaputt geht, können die Scherben wiederum zu einem Mosaik werden.

HELENE Es sind ja teilweise sehr alte Handwerkstechnicken, aber in deiner Arbeit zitierst du diese nicht in ihrem historischen Kontext, sondern du arbeitest sehr frei damit. In deinem suchenden und forschenden Arbeitsprozess, im Experimentieren ohne formuliertes Ziel, deckst du irgendwie auch auf, was für eine Vielfalt von Bedeutung dem Material innewohnt.

Du machst ein Mosaik aus Glasbausteinen und eine Zeichnung, die aussieht wie ein Mosaik. Diese Zeichnung wiederum druckst du auf Stoff und hängst es als Fahne. So würde ich beschreiben wie du von einem Medium in ein anderes wechselst. Bei einer Ausstellung bringst du dann diese verschiedenen Elemente und Sprachen zusammen. Wie verläuft dieser Prozess der Installation? Wie verbindest du das Eine mit dem Anderen?

SASKIA Die Rauminstallationen, wie jetzt auch bei der Ausstellung Obsidianspalten im Kunstraum Tosterglope, sind ähnlich wie beim Mosaik, aus fragmentarischen Bausteinen zusammengesetzt.

Wie du gerade beschrieben hast, wechsle ich im Prozess einer Arbeit manchmal die Technik. Weil sich in einer anderen Technik etwas anderes ausdrücken lässt. Aber grundsätzlich kann ich in meiner Arbeit drei Arbeitsprozesse benennen. Der zeichnerische Prozess, der sehr frei ist. Dann kommt die Arbeit mit dem Material, die auch frei ist, aber vielleicht mehr an das Physische, das Materielle und auch den Widerstand vom Material gekoppelt ist. Und zuletzt der Ausstellungsprozess, indem es dann noch mal um die Verbindung zwischen den Dingen geht.

In der Rauminstallation kann dann eine Zeichnung, die in einem intimen Arbeitsprozess, nah am Körper entstanden ist, zu einem raumgreifenden Bild werden. Dadurch verschieben sich die Größenverhältnisse. Solche Eingriffe können bestimmte Aspekte einer Arbeit betonen. Man kann auch näher reingehen; zum Beispiel in die Struktur des Papiers. Drucke können für mich Tapeten sein oder Bilder Kacheln. Ich sehe zwischen den Arbeiten oder den Techniken der angewandten und bildenden Kunst keine Hierarchien.

In dem Moment indem ich in einem Material arbeite, bekomme ich oft Ideen, wie ich ein Motiv in einem anderen Medium variieren könnte. Es findet dann eine Art Übersetzung statt. Und bei jeder Übersetzung passiert in gewisser Weise auch eine Erneuerung der Ideen oder Bilder.

HELENE Die Wiederholung taucht in deiner Arbeit als Motiv auf. Alles ist eine Variation. Eine Variation oder ein Abdruck. Etwas, was sich immer wiederholen und angepasst werden kann. Eine Kette von Umformungen. Das ist irgendwie deine Arbeitsweise. Eine Kette von materiellen Umformungen die etwas durchläuft.

Und mit einer Ausstellung gehst du fast so um, als wenn du den Raum gestalten, ausstatten würdest. Es gibt große Flächen, die vielleicht wie Tapeten wirken. Dazu kleine Objekte, an die man mitunter ganz nah herantreten muss. Es hat einerseits etwas von einem eingerichteten Zimmer, andererseits bleibt da auch immer eine Lücke. Inwiefern hat diese Nähe zur angewandten Kunst und zu Handwerk für dich auch etwas mit dem Bauhaus zu tun?

SASKIA Im Kontrast zur Jetztzeit gab es im Bauhaus eine politische und utopische Vision in dem das Handwerk eine große Rolle gespielt hat. Man glaubte nicht, so wie heute, an die Technisierung aller Lebensbereiche und man sah im Handwerk den humaneren Arbeitsprozess, in dem man nicht entfremdet ist. Deshalb hat für mich so zu arbeiten auch etwas mit Werten zu tun.

Es ist eine Arbeitsweise, die nichts mit Flexibilität oder Schnelligkeit zu tun hat und so unserem kapitalistischen Wertesystem und den damit verbundenen Idealen entgegengesetzt ist. Ein Mosaik braucht lange bis es entsteht. Es ist statisch und schwer. Es durchläuft viele Arbeitsprozesse denen wir schon ziemlich entfremdet sind. In meiner Arbeit geht es mir eben nicht um materielle Werte, Techniken oder einzelne Werke sondern um ein tiefes materielles Verbundensein und die Abhängigkeit von Prozessen, Inhalten, Materialien miteinander und voneinander.

Die Struktur der Kunst-Akademien und der Aufbau mit den Werkstätten und Werkstattleitern heutzutage stammen ja auch aus der Bauhaus Zeit. Auf Werkstätten und die Zusammenarbeit mit anderen bin ich in meiner Arbeit angewiesen. Während meines Studiums gab es da ganz tolle Möglichkeiten. Aber ich habe auch schon in Mexiko bei einem Künstler gearbeitet oder in einem Keramikatelier. Und das ist natürlich auch eine Bereicherung für mich. Neue Arbeitsweisen oder die Materialien direkt vor Ort kennenzulernen und im Austausch mit den jeweiligen Künstler*innen und Handwerker*innen zu sein.

HELENE APPEL

studierte an der HFBK Hamburg und am Royal Collage London. Mit ihren Arbeiten ist sie international vertreten. Seit 2019 lehrt sie im Rahmen des Dorothea-Erxleben-Stipendiums an der HBK Braunschweig. Lebt und arbeitet in Berlin.

SASKIA SIEBE

erlernte das Handwerk des Mosaiks in Italien an der Scuola Mosaicista del Friuli. Von 2013 bis 2020 studierte sie an der HBK Braunschweig, wo sie ihr Studium als Meisterschülerin abschloss. Lebt und arbeitet in Braunschweig